FIDLEG und FINIG Ante Portas - Das Parlament muss korrigieren

Sonntag, 30. Oktober 2016

Im November 2015, kurz vor Ende der Amtszeit von Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf,  verabschiedete der Bundesrat Entwurf und Botschaft zum Finanzdienstleistungsgesetz (FIDLEG) und zum Finanzinstitutsgesetz (FINIG). Die zwei Gesetze sollten zentrale Pfeiler einer neuen Finanzmarktarchitektur werden. Was nach „Grand Design“ oder „Gesamtkunstwerk“ tönte, war ebenso überrissen wie unnötig. Und dies, obschon der ursprüngliche Vorschlag des Finanzdepartements in der Vernehmlassung arg zerzaust und zurückgebunden wurde. Es obliegt jetzt dem Parlament, das Projekt auf eine vernünftige Schiene zu bringen. Für den Erfolg des Schweizer Finanzplatzes ist das Gesetzesprojekt von grosser Bedeutung. In der soeben veröffentlichten Finanzmarktpolitik des Bundesrates wird das richtige Vorgehen wie folgt beschrieben: „Der Regulierungsprozess im Finanzsektor erfolgt transparent, unter Einbezug der Branche und berücksichtigt frühzeitige Abwägungen zu den ökonomischen Wirkungen“. In den letzten Jahren war das Gegenteil der Fall.

Das Geschäft liegt jetzt beim Ständerat, dessen Kommission für Wirtschaft und Abgaben (WAK-S) soeben eine Medienmitteilung zum Stand der Arbeiten veröffentlich hat. Die Kommission hat am bundesrätlichen Entwurf wesentliche Änderungen vorgenommen. Damit signalisiert sie, dass die Zeiten des Durchwinkens der bundesrätlichen Vorschläge vorbei sind. Das ist positiv. Als erstes hat die WAK-S unter dem Vorsitz von SR Martin Schmid entschieden, dass die Versicherer von Geltungsbereich des FIDLEG ausgenommen sind. Die seit Jahren versuchte gesetzliche Gleichbehandlung von Versicherungen und Banken war und bleibt ein Unsinn. Als zweiter Grundsatzentscheid hat sich die WAK-S für eine indirekte Aufsicht über die unabhängigen Vermögensverwalter (uVV) entschieden, bei der von der FINMA bewilligte und beaufsichtigte Aufsichtsorganisationen die laufende Überwachung übernehmen. Damit dürften die uVV zufrieden sein, wird diese Lösung doch von ihren Branchenorganisationen unterstützt. Die bestehenden Selbstregulierungsorganisationen (SRO)  können damit ihr Tätigkeitsfeld weiter ausbauen. Persönlich würde ich allerdings eine freiwillige Unterstellung der uVV unter eine Aufsicht vorziehen.  

Als unnötige Neuerung will die WAK-S für die bisher nicht regulierten Fintech-Unternehmen eine eigenständige Bewilligungskategorie schaffen. Damit soll ein erleichterter Marktzugang für Hightech-Unternehmen im Gesetz verankert werden. Das ist wirklich überflüssig, es genügt vollauf, wenn die Nationalbank und die FINMA über die Entwicklung auf dem Gebiet der technischen Finanzinnovationen informiert sind. Eine Aufsicht und Bewilligung braucht es nicht. Das hat bisher bestens funktioniert. Fintech ist jetzt halt das heisse Thema in der Finanzwelt, und da will die Politik nicht abseits stehen. In die Gesetzgebung gehört es deshalb noch lange nicht.

Als wichtigste Aufgabe für den Ständerat oder dann halt den Nationalrat als Zweitinstanz bleibt die Korrektur der bundesrätlichen Stossrichtung des FILDLEG. Das Grundproblem des bundesrätlichen Vorschlags liegt darin, dass unsere Finanzbranche sehr unterschiedliche Interessen hat, welche durch das Einheitskorsett von FINIG und FIDLEG nicht gleichzeitig verwirklicht werden können. Die offizielle Doktrin «Same business, same risks, same rules» mit einem «Level playing field» bevorteilt die Grossen und erstickt die Kleinen.

Zudem ist das von FIDLEG verfolgte Ziel des Marktzugangs für das grenzüberschreitende Geschäft mit EU-Ländern so nicht zu schaffen. Dafür wäre die vollständige Erfüllung der Äquivalenzerfordernisse mit der EU-Regulierung erforderlich. Das ist beim bundesrätlichen Entwurf nicht der Fall. Er enthält Abweichungen vom EU-Standard und läuft Gefahr, von der EU als nicht äquivalent eingestuft zu werden. Selbst wenn das heutige FIDLEG den EU-Standards genügen würde, dürfte die Weiterentwicklung des EU-Finanzrechts die Differenzen  zum schweizerischen FIDLEG erhöhen. Der vorgesehene Einheitsansatz von FIDLEG kann auf die Dauer nicht gleichzeitig EU-kompatibel sein und für das Nicht-EU Geschäft den nötigen Freiraum schaffen.

Zur Erhaltung des bestehenden Angebots auf dem Finanzplatz soll deshalb anstelle der bundesrätlichen Einheitslösung eine duale Regulierung realisiert werden. Durch eine solche lassen sich die aufgezeigten Spannungsfelder überwinden. Sie soll den Finanzintermediären und ihren Kunden die Wahlmöglichkeit zwischen einem EU-kompatiblen internationalen Ansatz und einem Schweizer Basisansatz einräumen. Kunden sollen wählen können. Der internationale Ansatz entspricht vollständig der EU-Finanzmarktregulierung. Änderungen des EU-Rechts werden automatisch übernommen. Damit werden die Äquivalenzerfordernisse der EU auch in Zukunft zweifelsfrei immer erfüllt. Für EU-Kunden ist dieser Ansatz zwingend. Inlandkunden und Nicht-EU-Ausländer, welche den EU-Anlegerschutzstandard wünschen, gehen zu einem Finanzintermediär, der den internationalen Ansatz anbietet, mit entsprechenden Kosten- und Bürokratiefolgen. Andere Kunden wählen den Schweizer Ansatz, der nur die aus Schweizer Sicht notwendigen Vorschriften zum Anlegerschutz enthält, namentlich zu Verhaltensregeln, Transparenzerfordernissen, Retrozessionen und Ombudsstelle. 

Diesen Grundsatzentscheid müssen die eidgenössischen Räte fällen. Sie sind die Gesetzgeber.  Die Details können vom Finanzdepartement und der FINMA unter Einbezug der Branche erarbeitet werden.

Hans Geiger, 30.10.2016